Mittwoch, 11. Juli 2018

Die Heimeligkeit von Jalousien

In meinen frühen Zwanzigern, als mein Leben alles andere als ein ruhiger, langsamer Fluss war, verbrachte ich öfter Tage bei den Großeltern meines damaligen Mannes in ihrem Haus im Burgenland.
Ich hatte keinen Job, aber ein frischgeborenes Baby, kein Geld, aber einen Mann, der öfter von Geldeintreibern als von Freunden besucht wurde und eine kleine Wohnung in Favoriten, in der fast keine Möbelstücke mehr zu finden waren.
Ich hatte Angst bei jedem Klingeln an der Wohnungstür - es konnte nur etwas Unangenehmes sein.
Daher war ich immer froh, ein paar ruhige Tage im Burgenland verbringen zu dürfen.
Obwohl mir die straffe Tageseinteilung von Oma und Opa mir im Alter von 22 Jahren wirklich nicht behagte - Punkt 12 Uhr wurde schwungvoll die Suppenschüssel mit einem zufriedenen Seufzer der Oma ("Zwölfeläutn! Auf die Sekundn!") auf den Tisch geknallt - so gab mir doch die tägliche Wiederholung der Routine ein festes Korsett, einen Rückhalt, eine Stärkung, ohne die ich und meine Tochter diese Zeit wahrscheinlich nicht so unbeschadet überstanden hätten.
Ich weiß nicht, was ich vielleicht getan hätte, wäre ich immer nur allein meinen Sorgen, meinen durchweinten und durchwachten Nächten ausgesetzt gewesen, ohne den Zwang am nächsten Tag aufzustehen und der Oma in der Küche helfen zu müssen, das Frühstück herzurichten, wegzuräumen, abzuwaschen, unter Omas Aufsicht Hühnerpaprikasch kochen zu lernen, ihr nach dem Abwasch aus der "Neuen Post" vorzulesen und pünktlich um halb Acht Uhr mit Oma und Opa in andachtsvollem Schweigen die Nachrichten im Fernsehen anzusehen.
Wie oft und wie sehr sind sie mir auf die Nerven gegangen mit ihrer Ordentlichkeit und Besserwisserei und ihren altmodischen Ansichten und ich wollte ihnen hunderte Male widersprechen.
Aber ich habs nicht getan, weil ich wußte: ich hab mich ja selbst in diese Situation manövriert, sie können nichts dafür, dass ich mich hier verkriechen und bevormunden lassen muss.

Und dann kam am Abend, jeden Abend, diese immer gleiche Verrichtung: die Oma ging mit ruhiger Selbstverständlichkeit von Zimmer zu Zimmer und ließ überall mit der gleichen Handbewegung die Holzjalousien vor den Fenstern herunter. Sie machten eine rauhes, polterndes, abschließendes Geräusch. Alle Fremden und das Böse mussten draußen bleiben. Wir waren unter uns.

Ich war jung, knappe zwanzig, aber ich beneidete Oma in diesen Momenten um ihre friedvolle Routine, ihre Wunschlosigkeit und ihr Gefühl der Sicherheit.
Diese Zeiten liegen weit hinter mir und ich habe sie ziemlich vergessen.
Vor einigen Jahren haben wir an unserem Haus die Fenster erneuern lassen und gleichzeitig, eigentlich als Sonnenschutz (Klimaerwärmung), Jalousien anbringen lassen.

Und jetzt gehe ich jeden Abend durch alle Räume und lasse mit einem zufriedenen, ruhigen Gefühl die Jalousien an allen Fenstern herunter und ich denke lächelnd an die Schwiegeroma und ich genieße das warme, behagliche, heimelige Gefühl dabei.
Ich bin erleichtert, nicht jeden Tag auf der Hetze nach irgendetwas herumhecheln zu müssen.
Ich bin froh, niemandem mehr etwas beweisen zu müssen.
Ich bin glücklich, in Frieden, Gesundheit und Wohlstand ( ja, Wohlstand! Ich habe zu essen, ein Dach über dem Kopf, Kleidung genug - wie die meisten hier!) leben zu können.
Ich bin stolz, schwierige Zeiten überwunden und Vieles geschaffen zu haben.
Ich bin beruhigt, keine Angst haben zu müssen und keine Sorgen zu haben.
Ich bin belustigt, dass ich mich über meine Omahaftigkeit freuen kann.

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