Samstag, 12. Juli 2014

Tage im Kurhotel - Teil 2

Bei unserem Aufenthalt im Kurhotel kamen wir mit vielen verschiedenen Menschen in Kontakt - und es liegt auf der Hand, dass dabei auch kranke und ältere Menschen waren.
Am Nebentisch im Restaurant saß eine ältere Dame, oder nein, Dame trifft es nicht - ohne sie beleidigen zu wollen: es war eine einfache, schlichte, alte Frau.
Sie war sehr klein, sie war gehbehindert und fast taub.
Jeden Morgen lag ein Speiseplan für den nächsten Tag auf dem Tisch, aus dem wir uns aus dem Angebot eine Menüfolge zusammenstellen konnten.
Die alte Dame neben uns konnte noch ganz gut sehen und lesen - das schon- nur die Speisekarte hatte für Frau R. so ihre Tücken:
Ratlos schüttelte sie den Kopf und überlegte laut, ob sie Tortellini mit Ricottafülle oder Zanderfilet an Limonenrisotto wählen sollte.....und bat mich um Hilfe.
Nach einigem Hin-und Her wurde mir klar, dass sie weder Tortellini, Ricotta, Zander oder Limonen an ihren Namen erkannte und nichts damit anzufangen wußte.
Daher begann ich ihr lauthals die Gerichte zu erklären :" Tortellini sind Nudeln" schrie ich "NUUUDELN!!" Sie nickte fröhlich. "Und Zander ist FISCH!" trompetete ich. Sie zuckte die Achseln. "FISCH !!!!" ich machte rudernde Schwimmbewegungen. Sie kicherte.
Nach einiger Zeit ging ich dazu über, einfach auf ein Gericht zu tippen, von dem ich annahm, dass es ihr schmecken würde, und begeistert die Augen zu rollen - folgsam kreuzte sie an.
Nur beim Dessert war sie eigen - Creme wurde verweigert, es musste Kuchen sein.
Zu Beginn dachten wir, dass uns unsere Tischnachbarin bald auf die Nerven gehen würde, aber nach kurzem Kennenlernen erzählte sie auf so berührende Weise aus ihrem 86 jährigen Leben, dass wir diesen Gedanken bald verwarfen.
Von einer "einmalig" guten Ehe erzählte sie, von ihrem guten Mann mit dem sie in dauerndem Einverständnis gelebt und gearbeitet habe - und der ihr 23 Jahre nach seinem Tod noch immer jeden Tag und jede Nacht abginge.
Von ihrer Familie, Tochter, Schwiegersohn und Enkelkinder, mit denen sie in einem gemeinsamen Haus lebe und nur deshalb für zwei Wochen im Kurhotel untergebracht sei, weil die Familie auf Urlaub sei.
Von ihrem Schwiegersohn, der jeden Tag um 11h kurz von der Arbeit nach Hause käme, um ihr das Mittagessen zu kochen.
Von den Enkelkindern, die ihr jeden kleinen Handgriff abnähmen.
Bei jedem Satz leuchteten ihre Augen und man sah, dass sie sich noch immer tüchtig freuen konnte.
Und WIR freuten uns, dass gute Taten Früchte tragen, dass es Menschen gibt, die sich gegenseitig ein Paradies auf Erden machen und dass es möglich ist, sich aufeinander zu verlassen.

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