Freitag, 13. November 2015

Mein Herz hängt an Wien - deshalb blutet es

Mein ganzes Leben verbringe ich schon in dieser Stadt.
Ich habe mich hier immer sicher-, zu Hause- und wohlgefühlt.
Ich mochte die Menschen, ihre Langsamkeit, ihren herben Witz und die früher herrschende Gemütlichkeit.
Hat sich Wien verändert oder habe ich mich verändert?
Habe ich früher nur ein kindliches Bild von Wien geliebt und sehe ich erst jetzt im Alter die Wahrheit?
Wann sind die Menschen hier so roh, bösartig, schlechtgelaunt, unfreundlich, ungeduldig, besserwisserisch und belehrend bis zur Gewalt geworden?
Gut, schon in den 1980er Jahren haben mich nette Nachbarn belehren müssen, was auf meinem Balkon stehen darf und was nicht.
Das Reglement für alles,"was sich g´hört und was nicht", war in diesem konservativen Land schon immer groß und reichte von Frisuren über Kleidungsvorschriften bis zu unveränderlichen, unumstößlichen Essenszeiten.
Aber heute würde man dem Anderen seine eigene Meinung am liebsten mit der Faust aufzwingen.
 Und die gute Laune?
Wo ist die hin, bitte?
Egal, wo man hinkommt: Supermarkt, Friseur, Öffis,Baumarkt - überall herrscht angespannte Mißmutigkeit bis zur groben Unhöflichkeit, als ob man sich damit das Leben unerhört erleichtern würde.
Manchmal kommt es mir vor, als koste es alle eine unglaubliche Anstrengung, ein fröhliches Wort und ein offenes Lächeln zu verschwenden.
Ich kann mich doch bestimmt daran erinnern, dass beim Einkaufen in den Geschäften miteinander geplaudert und gelacht wurde, dass man leicht miteinander ins Gespräch kam.
Heute wird man angerempelt und fast niedergetrampelt, wenn man jemandem im Weg steht.
Gestern meinem Mann passiert: beim Anstellen in der Trafik wurde er von einem, sich vorbeidrängenden Mann angerempelt. Auf seine Frage, ob er nicht aufpassen könne, bekam er zur Antwort: "Wos stengans aa im Weg do?"
Wir sind uns gegenseitig alle lästig und "im Weg" bei unseren wahnsinnig wichtigen, dringenden, keine Sekunde aufschiebbaren Tätigkeiten.
Vom Verhalten im Straßenverkehr möchte ich gar nicht anfangen: da hat ja niemand mehr eine Sekunde Zeit oder einen Meter zu verschenken.
Auch wenn man an einer Stop- oder Nachrangtafel halten muß, wird das Auto zentimeterweise vorwärts bewegt, um dem vorrangigen Fahrzeuglenker klarzumachen: ich bleibe hier nur stehen, weil ich MUSS- dabei habe ich es sowas von eilig und kann es gar nicht erwarten, loszufahren!
Wenn man in einer einspurigen Straße fährt, hat man sicher 10 cm hinter sich das nächste drängende Fahrzeug, dessen Lenker bebend ruft: fahr doch schneller, mach doch, geh weg, lös Dich auf, Du bist mir im Weg!
Letztens hat mich eine Frau mit Kleinkind im Wagen an sehr gefährlicher Stelle überholt um mir im Vorbeifahren ihre Entrüstung darüber zuzuschreien, dass ich vorhin einen Fußgänger passieren ließ!
"Du Trampel, was bleibstn steh?!"
Wann und warum sind wir uns gegenseitig so verhasst geworden und uns selbst so wichtig, viel wichtiger als den anderen?
Wie arg das hier schon zugeht, merkt man ganz stark, wenn man mal für ein paar Tage in einer anderen Stadt oder auf dem Land ist: völlig normal und gelassen blicken Dir die Leute ins Gesicht, man lässt sich den Vortritt, man achtet auf der Straße darauf, dass dem anderen und einem selbst nichts passiert, man wird nicht auf die Seite geschubst, weil man mal wo steht und in die Luft schaut und schon gar nicht angehupt und beschimpft!
Und : kaum zu glauben : man verliert keine drei Minuten und keine Welt stürzt ein!
Dabei ist diese Stadt so schön: es ist alles da : schöne Gebäude, gute Straßen, viele Öffis, Kinos, Theater, Museen, Restaurants, Einkaufsmöglichkeiten, Jobs, Parks, Kaffeehäuser, Erholungsräume, Bars, Diskos, Nachtclubs, Schwimmbäder, Eislaufplätze, Kegelbahnen,....... und und und, eine Unzahl von Möglichkeiten, die es in vielen Dörfern und Kleinstädten nicht gibt - WAS, also WAS macht Euch Koffer hier so unrund ??


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